Samstag, 6. September 2014

Säkuläre Stagnation?

In den österreichischen Zeitungen liest man wenig über die These der säkulären Stagnation. Hier wird oft die grosse Entschuldung als einziger Weg zum "old normal" gesehen und wirtschaftspolitische Maßnahmen oft nur hinsichtlich ihres Betrags zur Bildung neuer spekulativer Blasen (böse! böse!) beurteilt. Spekulative Blasen sind aber nicht der einzige Mechanismus, der zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen kann.

Larry Summers hat 2013 bei einer IMF Tagung argumentiert, dass die "grosse Rezession" nicht schnell vorbei gehen würde, die gegenwärtige Situation mit geringen Wachstumsraten und niedrigen Zinsen könnte "the new normal" sein. Damit war die These der säkulären Stagnation (von Alvin Hansen für die 1930er Jahre geprägt) wieder en vougue. Sie wird auch ansatzweise in Europa diskutiert (1,2,3). Für Europa scheint diese These noch relevanter zu sein als für die USA. Hüfner hat eine suggestive Grafik für Deutschland:



Worum gehts? Wie kommt es dazu? Ein säkuläre Stagnation kann in Ländern mit hohen Einkommen entstehen, wenn das geplante Sparen die geplanten Investitionen übersteigt (makroökonomische Gleichgewichtsbedingung I=S). Sie ist mit ökonomischen Anpassungsmechanismen verbunden, die zu einer Stagnation oder einer länger andauernden Depression führen können.

Die These der säkulären Stagnation kann technologisch und makroökonomisch gedeutet werden. Die technologische Erklärung ist, dass wegen bestimmter Gründe (Demographie, Grenzen für die weitere Expansion der Höherqualifizierung, wachsende Ungleichheit, geringere Wirkung von Innovationen auf Wirtschaftswachstum oder auch öffentliche Verschuldung) eine Reduktion  des langfristigen Wachstumspotentials eingetreten ist, insbesondere in den entwickelten Industrieländern. Robert Gordon hat diese Erklärung bereits 2012 für die USA formuliert.

Larry Summers selbst hat eine eher makroökonomische Interpretation vorgelegt, die besagt, dass es derzeit gute Gründe gibt, dass die Volkswirtschaften lange Perioden unter dem Produktionspotential liegt können. Diese These ist im Kern keynesianisch und darauf zurückzuführen, dass der "naürliche" Zinssatz, der mit Vollbeschäftigung kompatibel ist, sich in den letzten Jahrzehnten erheblich reduziert hat, so dass im öfter negative Realzinsen notwendig sind um die Wirtschaft zur gleichgewichtigen Kapazitätsauslastung zu bringen. Im Moment sehen wir in Europa, dass vier Jahre negativer Realzinsen nicht ausgereicht haben um die Investitionen in der der Eurozone wieder auf das Vorkrisenniveau bzw. Gleichgewichtsniveau zu heben. Unter diesen Umständen könnte es sein, dass die einzigen Optionen für die Wirtschaftspolitik entweder flaues (oder gar negatives) Wirtschaftswachstum (Stagnation) hinzunehmen oder zu hoffen dass über das Auf und Ab über Blasen langfristig ein höheres Wachstum und damit Wohlfahrt erzeugt werden kann. Diese Situation kann aber auch einen Kontraktionsprozess in Gang setzen, der erst bei einem niedrigerem Nationaleinkommen endet bei dem wieder gilt: geplantes Sparen = geplante Investitionen.

Warum sind die Zinssätze gefallen? Den besten Ansatzpunkte bietet die loanable-funds Theorie des Zinssatzs (Zins als Marktpreis für das Angebot von Krediten - geplantes Sparen - und Nachfrage von Krediten - geplante Investitionen). Wie Tim Hartford schreibt werden der natürliche Zins von den Nationalbanken nicht gesetzt (im Text schreibt Hartford zwar reale Zinssätze, das soll jetzt aber keinen verwirren):
The background level of real interest rates is set not by central banks but by supply and demand. Low real rates suggest lots of people are trying to save, and particularly in safe assets, while few people are trying to borrow and invest. Only with rates at a very low level can enough borrowers be found to mop up all the savings.
Daraus ergebn sich drei Ansatzpunkte:
  1. Strukturelles Ansteigen des verfügbaren Kreditangebots (Sparen). Der Marktzinssatz bestimmt sich unter anderm durch das verfügbare Kreditangebot (Sparen). Durch die demographische Entwicklung in den Industrieländern wird mehr gespart (bzw. muss mehr gespart werden). Wenn die Kreditnachfrage nicht Schritt hält sinkt wegen des Marktmechanismus der gleichgewichtige Zins.
  2. Durch die technologische Entwicklung (IT) sinkt das Investitionsvolumen. So haben Internetunternehmen deutlich geringere Investitionsquoten als traditionelle Industrieunternehmen. Hält die Kreditnachfrage (in dem Fall Investitionen) mit dem Kreditangebot (Sparen) nicht Schritt sinkt der Zins. Entschuldung von Sektoren (Staat, Unternehmen oder Haushalte) kann in diesem Kontext als Rückgang der Kreditnachfrage interpretiert werden und hat somit eine negative Wirkung auf die Zinssätze.
  3. Reduktion im Volumen der sicheren Anlagemöglichkeiten. Im Zuge der Finanzkrise hat sich das Angebot sicherer Anlagemöglichkeiten (Assets) reduziert. Dies führt zu einem Anstieg der Assetpreise und einem Sinken der Returns auf die sicheren Assets. Weil die Referenz für die Geldmarktzinsen die Ertragsraten für sichere Assets sind, kommt es so zu einem Sinken der Zinssätze.
Insgesamt plausible Gründe für düstere Visionen. So plausibel, dass CEPR und Vox.EU ein Buch mit Beiträgen führenden Ökonomen (u.a. Krugman, Smets, Caballero, Gordon, Glaeser, Blanchard) zum Thema veröffentlicht haben. 



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen